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Stephan Eisel
Bildungspolitik mit christlichem Menschenbild:
Begabungsvielfalt statt Akademikereinfalt
Es ist üblich geworden, die Qualität unseres Bildungssystem an der Zahl der Abiturienten oder Studenten zu messen. Dabei stilisiert die öffentliche Debatte vor allem das Studium als besten Weg zu einem glücklichen Leben. Inzwischen liegt der Anteil der Studienanfänger in Deutschland bei 43 Prozent eines Jahrganges (!!!), die OECD schwärmt von einer 90-Prozent-Zielmarke.
Dieser Trend der Akademikerüberhöhung verweigert nicht nur der Begabungsvielfalt der Menschen den Respekt, sondern entfernt sich auch besorgniserregend von der Lebens- und Arbeitswirklichkeit: Nach Angaben des Statischen Bundesamtes hat Deutschland zur Zeit 81,8 Mio Einwohner. 16 Mio Menschen sind in Deutschland älter als 65 Jahre, fast 11 Mio jünger als 15 Jahre. Von den 54 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter von 15 - 65 Jahren sind 41 Mio erwerbstätig und weitere 2,4 Mio erwerbslos und auf der Suche nach einer Arbeitsstelle. Über 10 Mio Menschen im Alter von 15-65 Jahren sind nicht erwerbstätig und bewerben sich auch nicht um eine Arbeitsstelle.
Oft wird verdrängt, dass zwei Drittel der Erwerbstätigen eine Lehre in der dualen Ausbildung absolviert oder eine Fachschule abgeschlossen haben. Aber diese Zahl spiegelt die Erfordernisse des Arbeitsmarktes wieder. Akademiker bilden unter den Erwerbstätigen mit 16,2 Prozent eine kleine Minderheit. Dennoch stehen zur Zeit den 2,2 Mio Studierenden nur 2,8 Mio Jugendliche in der dualen beruflichen Ausbildung gegenüber.
Die Konjunktur der Klage über den Fachkräftemangel zeigt wie die Überbewertung der akademischen Ausbildung am Arbeitsmarkt vorbeigeht. Diese Akademikerfixierung ist auch kein Betrag dazu, den Anteil von 18 Prozent der Erwerbstätigen zu reduzieren, der keinen beruflichen Bildungsabschluss hat.
Um den tatsächlichen Bedarf des Arbeitsmarktes trotzdem zu erfüllen, werden unter dem Mantel einer Steigerung der „Akademikerquote“ tatsächlich die Anforderungen im Bildungssystem verändert und junge Menschen in die Irre geführt: Die mit ca 25 Prozent immer noch sehr hohe Studienabbrecherquote führt nicht etwa zu einer kritischen Diskussion über die große Zahl von Studienanfängern. Im Gegenteil: Die Verschulungsorgien des Bologna-Prozesses definieren akademische Ausbildung so um, dass sie begabungsunabhängig für jeden absolvierbar ist, statt die Bedingungen für die tatsächlich akademisch Begabten zu verbessern.
Seit einigen Jahrzehnten vermindert genau diese Strategie der Nivellierung auch den Gehalt gymnasialer Ausbildung: Das Abitur kann heute keineswegs mehr automatisch als Ausweis solider Allgemeinbildung im Sinne der traditionellen Hochschulreife angesehen werden. Das ist auch überflüssig, wenn die Hochschule zugleich zur verlängerten gymnasialen Oberstufe wird, damit möglichst viele zum Studium zugelassen werden können.
Zugleich wird die handwerkliche Ausbildung in einem problematischen Ausmaß verakademisiert und damit die Praxis von der Theorie verdrängt. Verräterisch ist schon das Wort von der „höheren“ Bildung, die doch in Wahrheit nur eine theoretischere Bildung ist.
Der Fixierung auf akademische Bildung liegt ein Menschenbild zugrunde, das die Gleichwertigkeit der Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit negiert. Handwerkliche Begabung und Bildung sind aber im Blick auf die Wertigkeit des Einzelnen und für unsere Gesellschaft insgesamt ebenso wichtig wie akademische Bildung. Trotzdem wird in der Ausbildung etwa zu Pflegeberufen oder auch in Kindergärten abstrakt-theoretischer Kompetenz immer häufiger höhere Bedeutung beigemessen als praktisch-menschlicher Begabung. Menschen mit solchen praktischen Begabungen werden heute immer schneller als “bildungsfern“ abgestempelt anstatt ihr Talent der Lebensnähe zu würdigen.
Tatsächlich sind aber eher Akademiker in vielen Fragen des Lebensalltags lebensferne Analphabeten und auf Hilfe angewiesen: Je höher die Akademikerquote umso weniger Menschen haben die Qualifikation, ein Schwein zu schlachten, einen Bus im öffentlichen Nahverkehr zu steuern oder einer Wasserrohrbruch zu reparieren. Das mag trivial und provokativ zugleich klingen, beschreibt aber die Lebenswirklichkeit: Jeder möge sich vergegenwärtigen, ob er im Tagesablauf mehr handwerklich-praktische oder akademisch-theoretische Dienstleistungen in Anspruch nimmt.
Dabei wissen die Menschen wissen auch sehr genau, dass Klugheit und Lebenstauglichkeit keine Frage des akademischen Ranges ist.
Wer den allgemein beklagten Fachkräftemangel einfach mit einem Akademikermangel gleichsetzt, verabschiedet sich im übrigen auch von einem gegliederte Bildungswesen, das mit unterschiedlichen Angeboten verschiedene Begabungen fördert, ohne sie in eine wertende Rangfolge zu bringen.
Was soll aber angesichts dessen beispielsweise die große Mehrheit der Nicht-Akademiker davon halten, wenn die Steigerung der Geburtenrate von Akademikerinnen als prioritäres Ziel der Familienpolitik verkündet wird ? Der akademisch dominierte Politikbetrieb steht in der Gefahr, sich selbst von der Lebenswirklichkeit zu isolieren, wenn (Bildungs)Politik als akademische Klientelpolitik empfunden wird und die nicht-akademischen Begabungen und Fähigkeiten der Menschen an den Rand gedrängt werden. Mit ihrer Wandlung von der „Arbeiter- zur Lehrerpartei“ hat die SPD diesen Weg vor Jahrzehnten eingeschlagen und steht heute vor den Folgen ihres Endes als Volkspartei. Die Grünen sind diesen Weg schon immer gegangen.
Die Union sollte ihre Alternative der politischen Anerkennung und förderung der Begabungsvielfalt der Menschen deutlicher zu machen. Für die CDU ist ihr Markenkern das christliche Menschenbild und der ihm innewohnende Respekt vor der Verschiedenartigkeit und Gleichwertigkeit der Menschen. Das ist die Voraussetzung für ihre Stärke als Volkspartei. Es wäre gut, wenn das auch in der Bildungspolitik wieder deutlicher wird.