Meurer: Es gibt in diesen Tagen auch eine neue Biografie über Helmut Kohl, der ja fast zeitgleich 80 Jahre alt geworden ist, von seinem alten Mitarbeiter Stephan Eisel, und der sagt, Kohl hätte genau in der Zeit, '85, im Prinzip auch dasselbe gesagt mit "Tag der Befreiung", aber bei ihm habe man nicht zugehört. War das so?
Rudolph: Das ist richtig. Das ist etwa drei Wochen vorher in Bergen-Belsen, da hat Kohl eine Rede gehalten, die im Tenor ganz ähnlich ist, aber die nicht übergekommen ist. Das ist eben auch eine besondere Fähigkeit Weizsäckers gewesen, dass er so etwas so sagen konnte, dass die Leute zuhörten. Es gibt ja unter den Kohl-Leuten in diesem Buch von Eisel diese etwas mokante Bemerkung: Wenn Kohl eine große Rede vorliest, dann hört sich das an wie das Telefonbuch, und wenn Weizsäcker das Telefonbuch vorliest, hört sich das an wie eine große Rede. Das ist ein bisschen mokant, aber es stimmt eben, dass er durch seine Person, durch seine Vortragsweise, ich glaube auch durch den intellektuellen Hintergrund so etwas zum Erlebnis machen kann.