Volltextsuche:

Besprechungen

CIVIS mit SONDE 2-3/2010

Aus nächster Nähe, aber mit Abstand

von Heinz Neubauer

Wenn der einzige „Bürger Europas" nach durchstandener schwerer Krankheit seinen 80ten Geburtstag feiern kann, dann gibt es viele Lebensdarstellungen, manchmal autorisierte, aber auch viele „Schnellschüsse", die den nahenden Jahrestag des allseits bekannten Jubilars aus Vertriebsgründen nutzen wollen. Der von Stephan Eisel vorgelegte, sehr persönliche Bericht, gehört gewiss zu keiner derartigen Kategorie. Und wenn der Klappentext nicht erwähnt, dass der Autor studierter Historiker ist, dann ist das auch persönlich wie konsequent zugleich, denn das Buch ist gerade nicht „sine ira et studio (deutsch: ohne Zorn und Eifer - Tacitus, ca.58-ca.120) geschrieben. Hier schreibt ein selbst vielfältig engagierter Zeitzeuge über seine 35 Jahre an der Seite von Helmut Kohl. Er stützt sich dabei nicht nur auf die eigene Erinnerung und archivierte Dokumente, sondern zusätzlich auf ein technisches, heute vielleicht nicht mehr verkäufliches analoges Hilfsmittel, nämlich ein auf Tonband gesprochenes Tagebuch, welches er damals im Bundeskanzleramt zu führen hatte. (Ketzerische Frage des Rezensenten: Wer darf heute digitale Nachrichten wie SMS- oder Twitter-Botschaften  archivieren ?)

Das erste Drittel seines Berichtes handelt von dem langen Weg Kohls von Mainz nach Bonn. Es bleibt immer wieder erstaunlich, wie viele Rückschläge und manche Niederlage auch ein Helmut Kohl meistern musste, ehe er 1976 als Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im politischen Zentrum des Bundesrepublik dauerhaft angekommen war und unverändert von politischen Gegnern, Journalisten und Kulturschaffenden als „Pfälzer aus Oggersheim" verunglimpft wurde. Kohl selbst nennt seine Heimat immer Ludwigshafen. Der ebenso bodenständige Pfälzer Stephan Eisel, der Helmut Kohl aus den Besuchen des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten in Dahn bereits kennt, erlebt und unterstützt ihn bald aktiv, so 1979 als RCDS-Bundesvorsitzender in der heute fast vergessenen Zerreißprobe der Union um die Kanzlerkandidatur zwischen Strauß oder Albrecht sowie nach seinem abgeschlossenen Studium als Mitarbeiter in Bonn. Eisel beschreibt Kohl, seinen Arbeits- und Politikstil aus nächster Nähe, basierend auf eigener Beurteilung und ohne Verletzung von Dienstgeheimnissen. In dieser Hinsicht ist das Buch das genaue Gegenteil der sich damals als bestens informiert gerierenden Berichterstattung in den Hamburger Magazinen „Spiegel" und „Stern".

In einzelnen Bildern vermittelt der Autor ein lebendigen Eindruck des politischen Bonn, einer Epoche, die mit der Kanzlerschaft Kohls ihren Höhepunkt und ihren Abschluss fand. Beginnend mit dem NATO-Doppelbeschluss, der in der innerparteilichen Debatte Helmut Schmidt die Unterstützung der SPD kostete, und den stets erneut angeknüpften Gesprächsfäden zu den Spitzen der FDP, gelang Kohl das erfolgreiche konstruktive Misstrauensvotum gegen den Strategen Schmidt. Zugleich hielt, häufig belächelt, der überzeugte Europäer Kohl am Auftrag zur Wiedervereinigung Deutschlands fest, obwohl vor allem die Ministerpräsidenten aus der SPD diesen als überholt deklarierten. Eine stetige und verlässliche Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland in der ersten Ära Kohl, vor allem als Partner der europäischen Nachbarn und als NATO-Partner, eröffnete 1989 dann das „Fenster der Möglichkeit" für die Deutschen. Dabei vergaß und vergisst Kohl nie, die friedlichen Freiheitsbestrebungen der Polen, Tschechen und Ungarn dankbar zu erwähnen, wann immer er die Entwicklung zur deutschen Einheit beschreibt.

Seit dem 9. November 1989 konnte Helmut Kohl mit untrüglichem Gespür „für den Hauch der Geschichte" die Herrschaft des Verfahrens und mit seinem 10-Punkte-Programm am 28. November im Bundestag die gestaltende Führung übernehmen. Spannend zeichnet der Autor die unterschiedlichen Positionen der Parteien nach. Dabei kommt er auch auf die anfangs zögerliche Haltung Hans-Dietrich Genschers zu sprechen. Im selben Zeitraum organisierte der Machtpolitiker Kohl im neuen Gästehaus der Bundesregierung in Berlin-Dahlem entschlossen die „Allianz für Deutschland", ein Parteienbündnis in der aufbrechenden DDR, das dann bei den einzigen freien Wahlen zur Volkskammer stärkste Kraft wurde. So konnte der Verfassungsminister Wolfgang Schäuble den Einigungsvertrag ohne ideologische Klimmzüge mit der frei gewählten DDR-Regierung ausarbeiten.

Zitat S. 148: „Die Wiedervereinigung hat eine Frage aufgeworfen, die ich ganz anders als Helmut Kohl beantwortete. Mit Leidenschaft und Überzeugung trat ich dafür ein, dafür, dass Bonn auch im wiedervereinigten Deutschland die Hauptstadt bleiben sollte. Helmut Kohl hielt sich lange bedeckt, ehe er sich für Berlin aussprach." Hier gefällt dem Rezensenten (dessen Vater ebenfalls studierter Historiker gewesen ist) die eingehaltene Distanz des Autors und studierten Historikers Eisel, war dieser ja seinerzeit als amtierender CDU-Kreisvorsitzender in Bonn klar Partei („cum studio")! Der Historiker Helmut Kohl hat wohl eher in längeren historischen Zeiträumen gedacht, als er schließlich für die gemeinsame Hauptstadt Berlin plädierte. Als Politiker hat er anfänglich mit der Bonn-Vereinbarung und vor allem mit dem späteren Bonn-Berlin-Gesetz als Bundeskanzler dafür gesorgt, dass der Umstieg von der Bundesstadt Bonn zur Bundeshauptstadt Berlin gelang und ein wirtschaftlicher Abstieg vermieden werden konnte („sine ira").

Um den Abstand geht es auch, wenn der jährliche Sommerurlaub in St. Gilgen am Salzburger  Wolfgangsee geschildert wird. Das Ehepaar Kohl fühlte sich dort auf Zeit als Einheimische, auch weil die dortigen Bewohner den neugierigen Journalisten keine verwertbaren Auskünfte zu geben pflegten. Dennoch musste der Autor im Wechsel mit einem Kollegen auch in dieser Zeit dafür sorgen, dass der Kanzler „immer im Bilde blieb" und mit Hilfe einer aus Geheimhaltungsgründen verschlüsselten Leitung telefonisch erreicht werden konnte. Wieder gelingt eine Schilderung ohne Verletzung der Vertraulichkeit. Hingegen werden auch Anekdoten erstmalig gedruckt: etwa die Reaktion von Präsident George Bush sen., der als ehemaliger Marinepilot im Oval Office selbst eine ihm von Helmut Kohl überreichte Dose mit Pfälzer Leberwurst zunächst skeptisch öffnet, diese dann verschmitzt lächelnd auf ein Stück Brot streicht und anschließend genüsslich hinein beißt. Alle drei Phasen werden fotografisch festgehalten und erreichen mit einem persönlichen Dank das Kanzleramt in Bonn, sehr zur Erheiterung des Kanzlers und seines Büros.

Zitat S. 226 f.: „Als Bundeskanzler arbeitete Helmut Kohl mit den jeweils drei US-Präsidenten (Ronald Reagan, George Bush, Bill Clinton), britischen Premierministern (Margret Thatcher, John Major, Tony Blair) und französischen Präsidenten (Valerie Giscard d'Estaing, François Mitterand, Jaques Chirac) zusammen. Dazu kamen mit Leonid Breschnew, Juri Andropow, Konstantin Tschernenko und Michael Gorbatschow gleich vier Generalsekretäre der KPdSU und der russische Präsident Boris Jelzin." Der Autor fasst zusammen, Helmut Kohl habe die Gabe, die „enorme Herausforderung des Gleichzeitigkeit des Ungleichgewichtigen zu bewältigen": 48 Stunden nach dem 10-Punkte-Programm im Bundestag wurde sein Freund Alfred Herrhausen am 30. November 1989 in Bad Homburg durch einen Terroranschlag ermordet.

Nur das - von Stephan Eisel en detail aus der Nähe beobachtete - innere Wertegerüst habe ihn, Helmut Kohl, nicht verzweifeln lassen, sondern ihn zum Handeln im persönlichen Umfeld wie in der großen Politik befähigt. Kann eine Gabe zum Geburtstag „von Pfälzer zu Pfälzer" mehr Respekt ausdrücken?  Also ein gelungenes, lesenswertes Geburtstagsgeschenk!

PFALZ-ECHO 15 / 2010

  PERSONLICHE EINBLICKE

von Björn Hayer

Dass Altkanzler Helmut Kohl insbesondere den Magazinen Stern und Spiegel skeptisch oder besser gesagt in bewusster Ignoranz gegenübertrat ist allseits bekannt und unbestritten. Gerade spätestens zu seinem 80. Geburtstag sind wiederum, zahlreiche Bände zu Eckdaten, Stationen und Handlungen seines Werdegangs erschienen. Alles schön und gut: Eckdaten sind Tatsachen, dennoch fehlt ihnen das Lebendige.

Stephan Eisel, langjähriger Wegbegleiter und zeitweise sogar stellvertretender Büroleiter des Kanzleramts, wählt in seinem jüngst erschienen Buch „Helmut Kohl - Nahaufnahme" hingegen einen lesenswert persönlichen Blick auf die Vita einer großen, aber bis zuletzt auch kontroversen Politikerpersönlichkeit. Angefangen bei den jungen Jahren der rheinland-pfälzischen über die Ära der schwarzgelben Koalition bis hin zum Mauerfall und der europäischen Einigung rekapituliert der Autor mal faktenreich mal unumwunden persönlich die gemeinsame Zeit mit jenem Kanzler, dessen Beziehung zu seinen Mitarbeitern und Kollegen ambivalenter hätte kaum sein können. Denn Kohl war nicht nur ein umgänglicher, sondern vor allem auch misstrauischer Zeitgenosse.

Aber vielleicht hatte gerade jene kritische Distanz sowie seine Beharrlichkeit, immer den eigenen Kurs stringent zu verfolgen, zu dem werden lassen, was Eisel pathetisch in seinem Schlusswort äußert: ,,zu einem Glücksfall für die deutsche und europäische Politik des 20. Jahrhunderts."

POLITISCHE MEINUNG - Mai 2010

Unmittelbar und persönlich

von Tilman Mayer

Der Untertitel von Stephan Eisels Buch über Kohl lautet „Nahaufnahme", und das trifft den Beitrag voll und ganz.

Eisel hat als Redenschreiber Kohls diesen unmittelbar im Aktivitätszentrum des Bonner Kanzleramtes erlebt und hat klugerweise damals einiges für sich notiert und protokolliert. So entstehen in der Tat Nahaufnahmen, die dazu beitragen werden, das Bild des Staatsmannes, aber auch des Wahlmanagers Kohl puzzleartig zusammenzusetzen.

Eisel war nicht in einer Entscheidungsposition, aber mit Reden kann man die Politik gestalten. Auch er, das ist das überraschende, widmet der Motivation der Deutschlandpolitik Kohls große Aufmerksamkeit, und er liefert Zitate und politische Urteile der Gegner einer einheitsorientierten Politik in den Achtzigerjahren, die, mit Abstand betrachtet, alles über dieses politische Milieu von damals sagen.

Bei Eisel wird auch das Verhältnis zu Franz Josef Strauß besonders profiliert dargestellt, Barzel auf seine wahre Größe reduziert, und es werden Aussagen von Bahr, Fischer, Momper, Bölling, Schmude, Schöffberger, Vollmer, Lafontaine, Grass präsentiert. Sie zeigen, wie sehr man Realitäten einfach nicht wahrnehmen wollte, aber sich moralisch enorm überlegen fühlte.

In der Hauptstadtfrage offenbaren sich dann die Grenzen der Bonn-zentrierten Perspektive Eisels. Dabei ist der Hinweis sehr aufschlussreich, dass im Mitarbeiterkreis Kohls praktisch niemand für Berlin gewesen sei.

Das „höchst subjektiv", eben persönlich angelegte Buch Eisels ist auch darin nützlich, dass es über viele Faksimiles aufzeigt, wie sehr und mit welchen Aussagen Kohl in die Gestaltung „seiner" Reden eingegriffen hat.

EVANGELISCHE VERANTWORTUNG 5-6 /2010

 Pünktlich zum 80. Geburtstag des „Kanzlers der Einheit" veröffentlicht Stephan Eisel, langjähriger Redenschreiber, Mitarbeiter Helmut Kohls im Kanzleramt und ehemaliger Bonner Bundestagsabgeordneter, seine äußerst interessante „Nahaufnahme", die bewusst „höchst subjektiv" gefasst ist und auf den eigenen und unmittelbar persönlichen Erinnerungen des Autors basiert.
Eisel bietet interessantes Material, das uns den Menschen und Politiker Kohl immer wieder neu und facettenreich nahe bringt. Der Leser wird eingeladen, hinter die Kulissen zu blicken, und lernt vieles, was sich nicht in den Akten und historischen Zeugnissen finden lässt. Ein hoch spannendes, kluges und hervorragend geschriebenes Buch, das jedem zu empfehlen ist, der sich näher mit der Gestalt Helmut Kohls und dem von ihm wesentlich geprägten Abschnitt der Geschichte der CDU befassen will.
Die Tatsache, dass dem Buch in Bezug auf Syntax und Orthographie an manchen Stellen ein etwas sorgfältigeres Lektorat zu wünschen gewesen wäre (wohl ein Zugeständnis an den Druck des Erscheinungstermins), trägt dem Prädikat „Unbedingt lesenswert!" keinerlei Abbruch, sondern unterstreicht die guten Wünsche für eine baldige zweite Auflage.

SENATE 1-2010

Altbundeskanzler Helmut Kohl wurde 80
Eine Nahaufnahme

Buch des engen Mitarbeiters Dr. Stephan Eisel über seinen Chef
Bericht Maria C. Wilhelm
Stephan Eisel war bis Oktober Mitglied des Bundestages, er ist promovierter Politologe und studierter Musikwissenschaftler. Die überwiegende Zeit seiner politischen und beruflichen Karriere verbrachte er im Umfeld des Altkanzlers und galt als einer d e r strategischen Köpfe im Team. Stephan Eisel hat Helmut Kohl seit Mitte der 70er-Jahre immer wieder aus der Nähe erlebt.
Er begleitete Helmut Kohl von 1983 bis 1992 als enger Mitarbeiter im Bundeskanzleramt wä h r e n d der Zeit der Wiedervereinigung als stv. Leiter des Kanzlerbüros. Zuvor hat er als Bundesvorsitzender des Rings christlich-demokratischer Studenten (RCDS) den Oppositionsführer Kohl unter anderem im CDU-Bundesvorstand beobachtet. In den 90er-Jahren hatte Eisel als Bonner  CDU-Kreisvorsitzender unmittelbar mit Kohl zu tun. Dem Alt-Kanzler ist er oft als Bonner Bundestagsabgeordneter begegnet.In dem nun von Eisel vorgelegten Buch über die Eindrücke und Erinnerungen findet man viele spannende, einige erhellende und auch menschliche Hintergründe, die als Geschichten unterhaltend sind. Beschrieben wird ein Helmut Kohl, der so nicht immer erkannt wurde.

KASSIBER 1/2010

 HELMUT KOHL IN DER NAHAUFNAHME
von Jochen Blind

Am 3. April 2010 feierte Helmut Kohl seinen 80. Geburtstag. Rechtzeitig zu diesem Ereignis sind mehrere Biographien über den Altbundeskanzler erschienen. Doch keine davon kommt dem Ehrenbürger Europas so nahe wie das Buch „Helmut Kohl. Nahaufnahme" (Bouvier-Verlag) von Stephan Eisel. Schließlich war der promovierte Politikwissenschaftler und ehemalige Bundestagsabgeordnete lange Jahre enger Mitarbeiter Helmut Kohls, unter anderem als Redenschreiber und stellvertretender Leiter des Kanzlerbüros.
Diese große persönliche Nähe zum Kanzler der Einheit ermöglicht einen Blick in dessen Regierungszeit, den andere Autoren nicht bieten können: Es sind vor allem die persönlichen Erlebnisse und Anekdoten, die dieses Buch lesenswert und das „Phänomen Helmut Kohl" greifbar machen. Eisels Bewunderung für den Altbundeskanzler ist stets spürbar, das Buch ist jedoch keine undifferenzierte Schwärmerei. Der fragwürdige Umgang mit manchen Medien, das Verhalten während der CDU-Spendenaffäre - auch Aspekte, an denen sich die Geister scheiden, finden Eingang, ohne dass der Blick auf die Lebensleistung des Staatsmannes Helmut Kohl getrübt wird.

Frankfurter Allgemeine Zeitung 12. April 2010

Der schwarze Filzstift
Als Mitarbeiter Kohls im Kanzleramt 1983 bis 1992

Auf der Kohl-Welle zum 80. Geburtstag will Stephan Eisel mitschwimmen. "Nahaufnahme" lautet der Untertitel seines Schnellschusses, der als rekordverdächtig gelten darf, wenn man sich an der Zahl der Schludrigkeiten (Tippfehler, Verben gleich doppelt in mehreren Sätzen, einmal fehlt sogar das Subjekt) orientiert. Der Autor war von 1983 bis 1992 Mitarbeiter im Kanzleramt, zunächst Redenschreiber, dann stellvertretender Leiter des Kanzlerbüros. Der gebürtige Pfälzer trat 1972 der CDU bei, damals "keineswegs ein Fan von Helmut Kohl". Das sollte sich grundlegend ändern - spätestens 1979 mit der Kanzlerkandidatur des CSU-Chefs Strauß, die der RCDS-Bundesvorsitzende Eisel ablehnte. Durch einen persönlichen Brief habe sich Kohl im Sommer 1979 bemüht, dem RCDS "die Sorge vor einer Richtungsänderung der Union zu nehmen. Wir waren beeindruckt davon, wie ernst er unsere Kritik nahm und wie schnell er persönlich reagiert hatte."

Über den Arbeitsstil des Kanzlers erfährt man, dass "dezentes Donnergrollen" nicht Kohls Sache gewesen sei: "Seine Donnerwetter kamen mit kräftigen Blitzen und ordentlichem Platzregen." Kohl "ließ keinen Zweifel daran, wer der Chef war. Aber er wollte in der Regel überzeugen und nicht verordnen." Manche seiner Filzstiftkommentare, die an Klarheit "meistens nichts zu wünschen übrig ließen", gibt Eisel im Faksimile wieder, darunter Bemerkungen zu Redeentwürfen. Kohls Stärke sei es gewesen, in freier Rede die Zuhörer in seinen Bann zu ziehen: "Aber wenn es darum ging, einen Text vom Blatt abzulesen, war er kein guter Redner. Als Redenschreiber scherzten wir manchmal, dass Richard von Weizsäcker das Berliner Telefonbuch vorlesen konnte und es als geistige Wegweisung aufgenommen werden würde, während Helmut Kohl einen faszinierenden Text wie das Berliner Telefonbuch vorlesen konnte."

In diesem Zusammenhang weist Eisel auf Ansprachen zum 40. Jahrestag des Kriegsendes hin - Kohl im Konzentrationslager Bergen-Belsen am 21. April 1985: "Der Zusammenbruch der NS-Diktatur am 8. Mai 1945 wurde für die Deutschen ein Tag der Befreiung", Weizsäcker Anfang Mai vor dem Bundestag: "Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung." Dazu schreibt Eisel: "Während die Medien in großer Begeisterung über von Weizsäckers Wort vom ,Tag der Befreiung' ausbrachen, hatten sie denselben Satz von Helmut Kohl praktisch ignoriert." Bis hin "zu wörtlichen Formulierungen" bestünden Übereinstimmungen: "Wir haben später gelegentlich beide Texte Besuchergruppen im Kanzleramt vorgelegt, ohne die Autoren zu nennen. Regelmäßig wurden die Reden verwechselt."

Anschaulich schildert Eisel die CDU-internen Kämpfe und Intrigen 1989 bis zum Bremer Parteitag, wo der Versuch, Kohl zu stürzen, endgültig scheiterte. Dabei kann er sich auf eigene Notizen und sein "Tonband-Tagebuch" stützen. Durch herausgehobene Funktionen in der Bonner CDU stand und steht Eisel weiter in Kontakt mit dem "Glücksfall für die deutsche und europäische Politik des 20. Jahrhunderts", ebenfalls durch seine Tätigkeit in der Konrad-Adenauer-Stiftung: "Wenn ich nach seinem Ausscheiden mit Helmut Kohl über Angela Merkel sprach, hatte ich den Eindruck, dass er ihren Weg mit einer Mischung aus persönlicher Verärgerung und Enttäuschung im Zusammenhang mit der Spendendebatte und professioneller Bewunderung über ihre Konsequenz beurteilte."

RAINER BLASIUS

GENERALANZEIGER 3. April 2010

Einen ganz anderen Zugang
"Einen ganz anderen Zugang zu Kohl" bietet Stephan Eisel. "Der ehemalige Redenschreiber und stellvertretende Leiter des Kanzlerbüros ("Helmut Kohl.Nahaufnahme") ... berichtet ohne Anspruch auf Objektivität von persönlichen Begegnungen und Erfahrungen mit Kohl. Allzu hohe Erwartungen an kritische Analyse und Distanz sollte der leser bei dieser Form der Näherung naturgemäß nicht haben. Doch diesen Anspruch (erhebt) Eisel auch garnicht.

Zum Verständnis von Kohls Arbeitsweise kann der ehemalige Bonner Bundestagsabgeordnete Eisel einiges beitragen, unter anderem durch zahlreiche mit handschriftlichen Anmerkungen des damaligen Kanzlers versehenen Dokumente. "Entscheidend war sein persönliches Vertrauen", schreibt Eisel, der sich in seinen Erinnerungen stark auf sein persönliches Tonband-Tagebuch stützt. Kohls Stärke sei seine "innere Ruhe" gewesen, die manchmal auf seine Umgebung "fast provozierend" gewirkt habe, so Eisel."
(Kai Pfundt)

WELT AM SONNTAG 28. März 2010

Mein Leben mit Kanzler Kohl
Von Frank Überall

Am 3. April wird Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl 80 Jahre alt. Zwei Rheinländer haben den CDU-Politiker in seiner politischen Glanzzeit begleitet. In aktuellen Büchern berichten sie von ihren Erfahrungen. Kohls früher Redenschreiber Stephan Eisel aus Bonn plaudert in seinem neuen Buch über die Zeit mit dem Kanzler, der ehemalige WDR-Korrespondent Rüdiger Sommerling aus Köln legt mit einem Hörbuch eine akustische Reise durch die Zeit von Kohls Kanzlerschaft vor.

Stephan Eisel hat Helmut Kohl schon als junger Student kennengelernt. Da wusste er noch nicht, dass er eines Tages ganz nah an der Macht arbeiten dürfte. An der Universität Marburg hatte Eisel 1978 Politikwissenschaft studiert. Dominiert wurde der Campus damals von linken Hochschulgruppen, Eisel war im CDU-nahen Ring Christlich-Demokratischer Studenten aktiv. Kurzerhand lud er den damaligen Ministerpräsidenten Helmut Kohl ein, was für enorme Unruhe an der "roten" Uni sorgte. Schon damals imponierte ihm, wie Kohl sich mit seinem lauten Organ gegen Pfiffe und Schreie der Gegendemonstranten durchsetzte.

Sechs Jahre später war Eisel einer derjenigen, die im Kanzleramt solche Reden für Kohl schreiben durfte. Er hat ein Tagebuch auf Tonband geführt, was ihm jetzt das Buchschreiben erleichtert hat. Die subjektive Biografie, die Eisel veröffentlicht hat, ist weder mit dem Alt-Kanzler abgestimmt noch von ihm autorisiert.

In seinen Nahaufnahmen gibt Stephan Eisel intime Einblicke in die Schreibstuben der Macht. Von 1987 bis 1991 war er sogar stellvertretender Leiter des Kanzlerbüros. Eisel schwärmt nicht undifferenziert über Kohl, er versucht, dem Vater der Einheit in ausgewogener Art gerecht zu werden. "Seine Donnerwetter kamen mit kräftigen Blitzen und ordentlichen Platzregen. Manchmal war man davon auch ohne Grund betroffen. Aber wenn er meinte, sich ungerecht verhalten zu haben, hat sich Helmut Kohl auch entschuldigt." Es ist diese menschliche Seite, die Eisel an seinem ehemaligen Chef stets geschätzt hat. Eine Mischung aus unbedingtem Machtwillen und rührender Menschlichkeit.

Das sieht auch der einstige WDR-Mann Rüdiger Sommerling so. Seine kritischen, zuweilen bissigen Kommentare haben den Kanzler meist nicht besonders gefreut. Er hatte ohnehin ein distanziertes Verhältnis zu Journalisten, verspottete sie bei vielen Gelegenheiten. "Er hat mir hin und wieder vor Kollegen verbal eins auf den Deckel gegeben", erinnert sich Sommerling: "Aber er hat mich nie verletzt." Der Reporter beobachtete Kohl nicht nur im Bundestag und in der Parteizentrale in Bonn, sondern auch auf Staatsterminen und Reisen. Sogar zum Urlaubsort am Wolfgangsee durfte er hin und wieder mit. "Ich habe Helmut Kohl kennengelernt als Machtmenschen", berichtet Rüdiger Sommerling: "Aber er konnte auch zahm sein wie ein Lamm." Der Kanzler habe die Menschen in seiner Umgebung oft mit guten Späßen unterhalten, auch wenn sich manche dadurch eher malträtiert gefühlt hätten. In seiner Audio-Collage stellt der Journalist im Ruhestand nicht nur Kohl selbst dar, sondern auch, was dessen politischen Gegner von ihm dachten - und zwar innerhalb und außerhalb der Union.

Respekt bei Sommerling, Begeisterung bei Eisel - so lassen sich die publizistischen Beobachtungen der beiden Rheinländer zusammenfassen. Bestürzt zeigten sich jedoch beide über die Spendenaffäre, die der Alt-Kanzler später ausstehen musste. Damit habe man nicht gerechnet, lautet das einmütige Urteil. Die Affäre kostete Helmut Kohl den Ehrenvorsitz der CDU. "Ich glaube aber, dass sich die Gremien mehr von Helmut Kohl entfremdet haben als die Basis", sagt Eisel.

* Stephan Eisel: "Helmut Kohl - Nahaufnahme", 190 Seiten, Bouvier Verlag, 19,90 Euro

* Rüdiger Sommerling: "Helmut Kohl - Reden, Reportagen, Politikerstimmen aus 13 Jahren", Hörbuch-CD, Bouvier-Verlag, 15,90 Euro

Buchvorstellung durch Hermann Gröhe am 25. März 2010

Eine Nahaufnahme von Helmut Kohl
Am 3. April feiert Helmut Kohl seinen 80. Geburtstag. Pünktlich zu diesem Ehrentag veröffentlichte dessen früherer enger Mitarbeiter, Stephan Eisel, eine Biografie, die sich unter dem Titel "Nahaufnahme" mit dem "Phänomen Kohl" beschäftigt. "Noch ein Buch über den Altkanzler?", fragte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe zu Beginn seiner Vorstellung der Kohl-Biografie am Donnerstag in Berlin - und ließ ein überzeugtes "Ja!" folgen.

Denn bei Stephan Eisels Buch handele es sich nicht um eine "übliche Biografie", sondern um eine "persönliche Erlebnisreise". Schließlich habe Eisel Helmut Kohl über drei Jahrzehnte aus der Nähe erleben können: Anfang der 70er Jahre bei der Jungen Union in seiner pfälzischen Heimat, dann beim Ring christlich-demokratischer Studenten in Marburg und als RCDS-Bundesvorsitzender 1979/80 in Bonn. Am prägendsten sei sicherlich die Zeit von 1983 bis 1987 als Redenschreiber für den damaligen Bundeskanzler und von 1987 bis 1991 als stellvertretender Leiter des Kanzlerbüros gewesen.

Vor allem fesselten den CDU-Generalsekretär die "politischen Sternstunden" in Kohls Leben. Dazu gehört auch die Darstellung des vor der Wiedervereinigung herrschenden innenpolitischen Klimas in der Bundesrepublik: Während heute "die Zahl der Väter und Mütter der deutschen Einheit von Jahr zu Jahr" wachse, hätten 1989 viele das Thema Wiedervereinigung längst abgeschrieben, schreibt Eisel. Andere wiederum, wie der damalige saarländische Ministerpräsident Oskar Lafontaine (SPD), hätten das Ziel der Wiedervereinigung noch einen Tag vor dem Mauerfall, am 8. November 1989, "für falsch und anachronistisch" gehalten.

Als zeitlos aktuell würdigte Gröhe Kohls Analyse des Ergebnisses der Bundestagswahl 1987. So habe der damalige Kanzler eine wesentliche Ursache für die Stimmenverluste auf den Dauerstreit zwischen CSU und FDP zurückgeführt. Nichts sei nun einmal schlimmer als "das Bild der Uneinigkeit". Kohls Schlussfolgerung: "Man müsse sie einfach laufen lassen, ohne dauernd zu kommentieren und dadurch ihren Kurs aufzuwerten". Dass Hermann Gröhe dieser unterhaltsamen und spannenden "Nahaufnahme" viele Leser wünscht, soll an dieser Stelle ausdrücklich erwähnt werden.

Stimmen zum Buch

Stimmen zum Buch

 

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG 12. April 2010:
"Anschaulich schildert Eisel die CDU-internen Kämpfe und Intrigen 1989 bis zum Bremer Parteitag, wo der Versuch, Kohl zu stürzen, endgültig scheiterte. Dabei kann er sich auf eigene Notizen und sein "Tonband-Tagebuch" stützen."

GENERALANZEIGER 3. April 2010:
"Zum Verständnis von Kohls Arbeitsweise kann der ehemalige Bonner Bundestagsabgeordnete Eisel einiges beitragen, unter anderem durch zahlreiche mit handschriftlichen Anmerkungen des damaligen Kanzlers versehenen Dokumente. "Entscheidend war sein persönliches Vertrauen", schreibt Eisel, der sich in seinen Erinnerungen stark auf sein persönliches Tonband-Tagebuch stützt. Kohls Stärke sei seine "innere Ruhe" gewesen, die manchmal auf seine Umgebung "fast provozierend" gewirkt habe, so Eisel."

STERN 30. März 2010
"Dann das Buch "Helmut Kohl. Nahaufnahme". Geschrieben hat es Stephan Eisel, viele Jahre einer der engsten Mitarbeiter Kohls als stellvertretender Leiter des Kanzlerbüros. Ein bemerkenswerter Text, verfasst von einem Mann mit genauem Blick in die Kulissen der Macht des Kanzlers Kohl."

WELT AM SONNTAG 28. März 2010
"In seinen Nahaufnahmen gibt Stephan Eisel intime Einblicke in die Schreibstuben der Macht. Von 1987 bis 1991 war er sogar stellvertretender Leiter des Kanzlerbüros. Eisel schwärmt nicht undifferenziert über Kohl, er versucht, dem Vater der Einheit in ausgewogener Art gerecht zu werden."

BERLINER MORGENPOST 26. März 2010
 "Nun also das anekdotenreiche Buch. Es wird am historischen Bild des Mannes aus der Pfalz nichts ändern. Aber je mehr Zeit ins Land geht, die Kontroversen von einst verblassen und nur noch das Gefühl bleibt, dass dies alles "unsere Jahre" gewesen sind, desto interessanter werden auch die kleinen Details.

HERMANN GRÖHE 25. März 2010
"Noch ein Buch über Kohl ?" fragte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe zu Beginn seiner Vorstellung der Kohl-Biografie am Donnerstag in Berlin - und ließ ein überzeugtes "Ja!" folgen.  Denn bei Stephan Eisels Buch handele es sich nicht um eine "übliche Biografie", sondern um eine "persönliche Erlebnisreise".