Als seine Sinfonie Nr. 9 mit der Vertonung von Friedrich Schillers Ode „An die Freude“ vor 200 Jahren am 7. Mai 1824 im Wiener Kärntnertortheater unter Mitwirkung des ertaubten Komponisten uraufgeführt wurde, hatte Ludwig van Beethoven seine Heimatstadt Bonn schon seit fast 32 Jahren nicht mehr gesehen. Und dennoch lebt seine Bonner Vergangenheit auch in dieser Sinfonie fort. In seinem Buch „Bonn und Beethovens Neunte“ begibt sich der Autor Stephan Eisel auf die Suche nach den Bonner Wurzeln von Beethovens vielleicht berühmtesten Werk. Und wird fündig.
Eisel, der auch Vorsitzender des Vereins Bürger für Beethoven ist, hatte bereits zum Jubiläumsjahr 2020 mit seinem 550 Seiten starken Buch „Beethoven – Die 22 Bonner Jahre“ ein Standardwerk über das Leben des jungen Komponisten vorgelegt. Von dieser intensiven Beschäftigung profitiert der Autor natürlich auch bei seiner erneuten Spurensuche. Naturgemäß fällt das Buch zur Neunten deutlich schmaler aus. Von den insgesamt 168 Seiten entfallen 104 auf den deutschen Text, bei den restlichen 64 Seiten handelt es sich um die gleich mitgelieferte englische Übersetzung. Der Inhalt beeindruckt vor allem durch die Fülle der Fakten und Indizien, die auf eine nahezu lebenslange Beschäftigung mit Friedrich Schillers Gedicht „An die Freude“ hinweisen. Dass Beethoven bereits in jungen Jahren die Schiller’schen Verse kannte, darf demnach als gesichert gelten.
Eisel arbeitet in seinem Buch sehr deutlich heraus, dass Beethoven Schiller bereits früh verehrte. Seine Werke waren in Bonn bekannt, seine Theaterstücke wurden hier aufgeführt: „Die Räuber“, „Kabale und Liebe“, das Trauerspiel „Die Verschwörung des Fiesco zu Genua“ gelangte 1783 am Bonner Hoftheater sogar zur Uraufführung.
Die Allgegenwart Schillers in Bonn weist Eisel auch am sogenannten „Stammbuch“ nach, das Freunde dem Komponisten 1792 zum Abschied von Bonn überreichten. Darin wird Schiller mit Abstand am häufigsten zitiert. Beethoven selbst zierte kurz nach seiner Ankunft in Wien ein Stammbuchblatt für eine Pfarrerstochter mit einem Zitat aus dem „Don Carlos“, das er um einen eigenen, berühmt gewordenen Sinnspruch ergänzte: „Wohlthun, wo man kann Freiheit über alles lieben, Wahrheit nie, auch sogar am Throne nicht verleugnen.“ Ein Kapitel widmet Eisel dem Bonner Beethoven-Freund Konrad Fischenich, der während eines Studienjahres in Jena mit Schiller in einem Haus wohnte und sich mit ihm anfreundete.
Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass Beethoven in seinen Bonner Jahren bereits die berühmten Schiller-Verse erstmals vertont hat. „So hätte er in Wien im vierten Satz der Neunten in Text und Musik zusammengeführt, was ihn schon in Bonn beschäftigte, aber noch unverbunden war“, schreibt Eisel.
Spannend ist auch das Kapitel über die eigentliche Entstehungsgeschichte der Neunten, die ursprünglich (zusammen mit einer weiteren, nie fertiggestellten Sinfonie) von dem Komponisten, Pianisten und Impresario Ferdinand Ries im Auftrag der Philharmonic Society bestellt wurde. Der 14 Jahre jüngere Ries war nicht nur Bonner wie Beethoven, sondern 1803 auch dessen Schüler und Sekretär. Die Einblicke in den Briefwechsel der beiden Musikerpersönlichkeiten ist für sich genommen schon eine außerordentlich spannende Geschichte, wenn darin über Geld ebenso verhandelt wird wie zum Beispiel über Ries’ letztlich erfolglosen Versuche, Beethoven zu einer Reise nach London zu bewegen. Dass die Uraufführung 1824 in Wien stattfand und London erst mit einiger Verspätung am 21. März 1825 in den Genuss kam, das epochale Werk zu erleben, entsprach eher nicht den Vereinbarungen zwischen dem Komponisten und der Philharmonic Society.
Dass Eisel in seinem Buch auch noch Raum findet, das Nachleben der Sinfonie unter besonderer Berücksichtigung Bonns zu skizzieren, ist ein weiteres Plus dieses höchst informativen und erhellenden Buches.